Unser Kitaleiter Donald Trampe

Angefangen hat´s zwei Wochen nach dem Wechsel der Trägerschaft unserer Kita „Schneckenhaus“. Stand plötzlich gegen halb 11 so´n vierschrötiger Kerl in ´nem schwarzen Mantel im Foyer, undefinierbares Alter, sonderbare blonde Haartolle. „Kann man helfen?“ fragte ich vorsichtig, und sein Gesicht hellte sich auf. „Trampe mein Name. Ihr neuer Leiter“, stellte der Kerl sich vor und deutet theatralisch mit dem Zeigefinger auf mich: „Ich heiße Sie herzlich willkommen in meinem Haus!“ Das war meine erste Begegnung mit Herrn Trampe.

Der will was verändern, merkten wir gleich, als wir ihm die Räume zeigten. Wir fanden das gut, denn frische Farben an den Wänden und frischen Wind in der Pädagogik konnten wir wirklich gebrauchen. Erst nach vier Wochen hatten wir kapiert: Der will zwar verändern, aber er weiß nicht, was.

Von Pädagogik verstand – besser: hielt – Trampe nicht allzu viel. Als Quereinsteiger, der mal irgendwas „mit Handel“ gemacht habe, ließ er sich erstmal alles erklären. Dagmar, die ihm unser Konzept präsentierte und ausführlich erläuterte, knurrte er an: „Viel zu kompliziert, versteht kein Mensch. Gute Pädagogik muss wie die Kinder sein! Einfach, ehrlich, direkt!“ Alle guckten irritiert. Nur Hedda nickte wie eine Taube beim Laufen, und der dicke Frank, der nie was sagt, klopfte zustimmend auf den Tisch. Sodann zerpflückte der Trampe alles, was wir bisher geregelt und getan hatten: „Abschaffen! Weg damit! Einfacher denken!“ Da schwanden unsere Zweifel, und wir fragten uns hoffnungsvoll: Wird unsere mühsame Arbeit jetzt mit einem Schlag einfacher, klarer, direkter?

Auf dem Elternabend im Mai zeigte Trampe zum ersten Mal sein wahres Gesicht. „Ich verspreche, ich mache unseren Kindergarten groß!“ posaunte er, und die Eltern waren begeistert. Nun durfte jede Mutter und jeder Vater ganz offen sagen, was ihr oder ihm nicht passt. „Ich verspreche, das wird geändert!“ trötete Trampe – egal, ob es um die kaputte Klotürverriegelung ging, die nach Meinung einer Mutter viel zu lockere Organisation des Mittagessens oder den Wunsch, jederzeit in der Kita aufzutauchen und nach dem Rechten zu schauen. Als die Eltern schließlich selig in die nächste Kneipe abtanzten, fragte Dagmar den Trampe vorsichtig: „Also, den bilingualen Morgenkreis – wer von uns soll den jetzt eigentlich übernehmen. Wir können doch alle kein Engl…“ Trampe herrschte sie an: „Für Details sind Sie zuständig! Oder wofür bezahle ich Sie?“

Dass den großen Worten keine großen Taten folgen, wie wir dachten, erwies sich als Irrtum. Im Gegenteil! In der Kita blieb in den nächsten Wochen kein Stein auf dem anderen. Der Rollenspielraum wurde verkleinert und zum Ruheraum, im Musikraum wurde eine pompöse „Kids Opera“ eingerichtet, und der mit dem Personalraum getauschte Essraum erhielt eine neue, stylische Ausstattung mit Barhockern und diesen Hängelampen. Doch zwei Tage nach der Eröffnung guckte Trampe schon wieder so streng, und das bedeutete: Das Raumkonzept, das „ihr mir aufgeschwatzt habt“, ist „pädagogisch kompletter Bullshit“. Schon landeten die Lounge-Möbel auf der Schuttrutsche, wurde die Kitaküche zum Turnraum, der Englischraum zur Chinesischraum – Trampe: „Sprache der Zukunft!“ -, und im Ex-Bau- und zwischenzeitlichen Schachraum entstand das „Girls Beauty Spa“, denn Trampes vierjährige Tochter hatte gerade die Freude am Schminken entdeckt.

„Heute möchte ich Sie über das wichtigste Zukunfts-Thema überhaupt informieren“, sagte Trampe eines Tages und schaute uns an, als zaubere er gleich sechs Kaninchen aus dem Zylinder. „Es geht um Bildung!“ Offenbar hatte er das Thema entdeckt, als er in seiner Lokalzeitung einen himmelschreiend vereinfachenden Beitrag über die schlechte Bildung in Deutschlands Kindergärten gelesen hatte. In gewohnter Mischung aus Zuchtmeister und Volkstribun forderte er uns auf, zu benennen, wer „Schuld daran sei“, dass „die Kids in euren Projekten ihre Zeit vergeuden und nix lernen“. Hedda murmelte entschuldigend: „Zu wenig Material.“ Trampe machte Druck: „Weiter, weiter!“ Da flüsterte Dagmar: „Zu wenig Zeit.“ Trampe gähnte ostentativ, bis der dicke Frank sich aufraffte: „Ganz offen? Na, die Integrationskinder und die Ausländer nerven.“ Trampe strahlte: „That´s it! Und was machen wir dagegen?“ „Integration oder Inklusion abschaffen geht nicht“, beeilte sich Claudia zu erklären, „sonst steht uns das Jugendamt auf der Matte…“ „Papperlapapp“, sagt Trampe, „wieso abschaffen? Ich bin der größte Fan von Inklusation, aber nicht zu Lasten der schlauen und motivierten Kids! Wir machen das so: Ab morgen gibt es im Altbau eine Extragruppe für diese Unglücksraben. Da können sie in Ruhe integriert werden, während die Gesunden und Anständigen hier unbeeinträchtigt lernen.“ Schon wieder klopfte dieser Idiot Frank Beifall.

Wie Trampe als Vorgesetzter so war? Wenn er an dich glaubte, fühltest du dich gut. Er grinste dich breit an und sagte: „Regina, wir beide sind doch die einzigen, die was von Erziehung verstehen!“ Genauso plötzlich konnte sich der Wind aber drehen. Dann hatte er diesen starren Blick drauf, mit dem er an dir vorbeiguckte, ohne dass du wusstest, warum. Aber am nächsten Tag musstest du zu Dagmar, seiner neu ernannten „Statthalterin“, die ganz fremd wirkte, wenn sie sagte: „Wir haben im Leitungsteam beantragt, dich abzumahnen.“ Nach dem Teamabend heulte die gleiche Dagmar dir in der Kneipe die Ohren voll: „Musste ich tun, ich hab doch kleine Kinder…“

Richtig Gift war all das für unser Teamklima. Nicht zuletzt, weil Trampe sich in Einzelgesprächen zugänglich zeigte – für die Anliegen der Leute ebenso wie für die Reize junger Mitarbeiterinnen. Plötzlich trat unsere Praktikantin Melli wie eine First Lady auf und prahlte mit ihrem „heißen Draht nach oben“. Nur Lisa grinste anzüglich: „Nicht eher ein lauwarmes, schlappes Würstchen?“ Klar, dass sie am nächsten Tag fehlte und später nur kurz bei uns vorbeihuschte, als sie ihre Papiere abholte.

Wie die Kids den Trampe fanden? Vor seinen Statthalter-Blick hatten sie gehörig Respekt. Machte er hingegen Faxen – meist seine zwei, drei Lieblingsgrimassen -, fanden sie ihn super-lustig. Beim Kita-Sommerfest „Champions wie wir!“ ließ er sich sogar zum Fußballturnier aufstellen und schoss alle Tore. Dabei foulte er den kleinen Jimmy so, dass dem das Nasenbein brach. Zwar überreichte er dem Blessierten mit großer Geste einen Fünfhunderter aus seiner Privatschatulle, knuffte ihm in die Rippen, gab ihm aber auf den Weg, dass ein „echter Junge“ bei „solchen Kinkerlitzchen“ nicht heule, und ordnete die Konsultation des Kinderpsychologen für dieses „Weichei“ an.

Irgendwann war Trampe weg, genauso plötzlich, wie er gekommen war. Dagmar, die zwischenzeitlich Fachbereichsleiterin war, doch dann zur stellvertretenden Hausmeisterin degradiert wurde, rief uns zusammen und verlas eine kurze Erklärung. Trampe habe „auf vielfachen Wunsch schweren Herzens“ beschlossen, „sich neuen Aufgaben zu widmen“, sei aber stolz „auf das unter seiner Führung Erreichte“. Da sprang die Tür auf, und Trampe rauschte in seinem großen, schwarzen Mantel zum letzten Mal in unsere Sitzung. Hastig schüttelte er unsere Hände. Draußen stand sein Taxi. Er bestieg es und verschwand.

Leise fragte Dagmar: „Und jetzt? Weitermachen?“

Hedda murmelte: „Muss ja.“

Schurk_innenstaaten

Erschienen in wamiki – www.wamiki.de

Satire darf unbequeme Fragen stellen. Zum Beispiel, ob es nicht ungerecht ist, dass in nur 0,5 Prozent aller Diktaturen Frauen das Sagen haben. Das ist schade, denn so erfahren wir nicht, ob sich typisch weibliche Eigenschaften wie Kompromiss- und Kommunikationsfähigkeit bei der Lösung von Diktatoren-Aufgaben wie die Unterdrückung Andersdenkender oder der räuberische Ãœberfall auf ein Nachbarland auswirken. Aber Satire darf Wege aus diesem Missstand aufzeigen: Gottlob gibt es genügend Möglichkeiten, handliche Mini-Diktaturen zu begründen, zum Beispiel im pädagogischen Bereich. Diese Chance ergriffen schon jede Menge Damen  – und auch einige Herren, die die Lizenz zum Diktieren quasi im Gen-Satz mitbrachten. Schauen wir mal in die pädagogischsten Mini-Diktaturen der Welt…

Eure-Frau-Müller-Insel

Auf der Eure-Frau-Müller-Insel führt die gleichnamige Lehrerin der 4a ein eisernes Regiment über die ihre Untertanen. Dabei gibt es durchaus Unterschiede: Während der Volksstamm der Artigen Mädchen zahlreiche Privilegien genießt, leiden die unterdrückten ADHSler unter ständigen Anfeindungen. Erst kürzlich wurde der „sehr auffällige Marvin“ mit Hilfe fingierter Förderpläne des Landes verwiesen.
Für Außenstehende absurd erscheint der vorgeschriebene Gruß: Jeden Morgen hat die sogenannte Klassengemeinschaft in einer Art militärischer Formation aufzustehen und zu Ehren der Herrscherin im Chor „Gutenmorgenfraumüller!“ zu skandieren.
Scheindemokratische Institutionen wie der Klassensprecher, ein bebrilltes Jungchen, werden von Eure-Frau-Müller schamlos ausgenutzt, um Abweichler zu ermitteln, deren Namen „zur Verwarnung“ an die Tafel geschrieben werden. Nach dem Richterspruch „Jetzt ist Eure-Frau-Müller aber enttäuscht, das habt ihr euch selbst zuzuschreiben!“ folgen Strafmaßnahmen wie Ãœberraschungstest, Pausenverbot und umfangreiche Extrahausaufgaben. „Schurk_innenstaaten“ weiterlesen

Liste verkehrt zu machender Dinge

Verkehrt! Das Curriculum verkehrt zu machender Dinge f?r die ersten 18 Lebensjahre

Erschienen auf www.wamiki.de

Muss man mit Kindern dar?ber reden, wenn sie was verkehrt gemacht haben? Auf jeden Fall, meint Michael Fink. Schon, weil sie durch fehlendes Feedback vielleicht die Lust verl?ren, viele weitere Dinge verkehrt zu machen. Und das w?re ja wirklich verkehrt, sagt der Autor und pr?sentiert sein Curriculum, in dem die wichtigsten verkehrt zu machenden Dinge f?r die ersten 18 Lebensjahre stehen.

Bei der Geburt das K?pfchen falsch eindrehen. Schon wieder an die Brust wollen. Die vierte Nacht in Folge durchschreien. Den Schrank ausr?umen und Papas wertvolle Platten-Sammlung dabei demolieren. Alles am L?tzchen abschmieren. Alles in den Mund nehmen.

Die Rutsche hochkriechen wollen. Zum zehnten Mal schaukeln wollen, auch wenn andere Kinder warten. Mit Sand werfen. Den Sandkuchen von Jonas einfach kaputt machen.

Brokkoli nicht mal probieren wollen. Nur Krikelkrakel malen. Nicht ?Ei? machen wollen, obwohl man wem wehgetan hat. Immer zetern, wenn es ans Schlafen geht. Oft ein B?ckchen haben.

Tr?deln, obwohl alle warten. Dr?ngeln, weil man nicht warten kann. Einfach abwarten, statt sich zu beeilen. „Liste verkehrt zu machender Dinge“ weiterlesen

Pädagogien – Von Kennwaschon und Immersogewesen nach New Input

Von Kennwaschon und Immersogewesen nach New Input – die interaktive Ausstellung lockt Erzieherinnen, Leiterinnen, Lehrer, Berater, Fortbildnerinnen in Ausbildung, Praxis und Forschung in eine sinnlich wahrnehmbare Welt der pädagogischen Ideen, Konzepte, Begriffe, Praktiken.

Die Ausstellung bietet insbesondere für Besucherinnen und Besucher, Inspirationsquellen, Ermutigung, Austausch, Vergnügen an Lernen im Dialog, beispielhafte Methoden zur Moderation von Bildungsprozessen. Sie verknüpft Erfahrungen, Gefühle, Gedanken der Besucherinnen mit Wirklichkeiten und Visionen und bietet auf diese Weise eine ganz persönliche Entdeckungsreise durch die Welt der pädagogischen Ideen, Konzepte und Wirklichkeiten.

Die Ausstellung „Pädagogien“ ist als Wander-Ausstellung konzipiert. Es gibt sie in einer großen Version, die viel hermacht, aber auch Platz und Transportkosten benötigt. Und seit kurzem auch eine Mini-Version, die ideal als Begleitprogramm für Fachtagungen aufgestellt werden kann – vielleicht eröffnet mit einer Lesung satirischer Texte?

Interessiert? Bitte wende dich an:

www.wamiki.de

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