Neues aus Pädagogien

Das neue Läster-, Jammer- und Mutmachheft mit den besten Satiretexten, Gedichten und Sprüchen aus Pädagogien, dem geheimnisvollen Paralleluniversum.

„Ein Hochgenuss für Betroffene“ (Peinliches Selbstlob des Autors, um Käufer zu locken)

Leseprobe:

Pädagogische Märchen

Ach, was wäre die Heimat ohne Erzählungen und Sagen, weitergereicht von Generation zu Generation. Hier folgen die schönsten Geschichten aus dem alten und ewig jungen Pädagogien.

Die zwei ungleichen Schulen

Es waren einmal zwei Schulen, in denen die ihnen anvertrauten Schüler fleißig unterrichtet wurden. Von der ersten Schule sprachen die Eltern des Landes mit der größten Hochachtung, nur die besten Schüler besuchten sie und brachten die allerhöchsten Noten heim. Das machte die Lehrer glücklich und spornte sie an, mit nimmermüdem Eifer ständig neue Projekte zu erdenken. Weil diese Schule so viel Beachtung erhielt, ward sie bald im ganzen Lande bekannt, und die berühmtesten Pädagogik-Dokumentarfilmer priesen sie in vielen Filmen.

Die andere Schule war ein klappriges altes Haus im staubigen Viertel am Rande der Stadt. Dennoch wurde sie von vielerlei Schülern besucht, aber das waren keine schlauen Prinzen und hochbegabte Prinzessinnen, sondern Kinder einfacher Tagelöhner und Wanderarbeiter, die oft nicht einmal die Sprache des Landes beherrschten. Immerfort stöhnten die Lehrer, wie anstrengend doch das Unterrichten an dieser Schule sei, und ihre Gesichter wurden von Tag zu Tag länger und müder.

Einmal ritt der König des Landes aus und geriet dabei unversehens in die unglückliche Schule. Er ließ sich durch die schmutzigen Gänge führen, begegnete missmutigen Schülern und hörte sich das bittere Wehklagen der Lehrer an. Tief bestürzt und voller Mitleid sprach er sodann: „Ich werde meine Minister zusammenrufen und sie so lange darüber disputieren lassen, wie euch geholfen werden kann, bis sie nicht mehr sprechen können.“

Die Gesichter der Lehrer hellten sich auf, sie dankten dem großen König und küssten seine Füße. Da sagte der König: „Nun muss ich fort, denn heute will ich meinen jüngsten Prinzen in der Schule anmelden. Natürlich in der anderen Schule, denn da passt er besser hin.“ Sprach`s und sprengte auf seinem Ross davon. Wenn er sich nicht zufällig noch einmal verirrt, wird er wohl bis in alle Ewigkeit nicht mehr vorbeikommen.

Die steinerne Hortnerin

Kennt ihr den grauen Felsen, der sich hoch im Walde über der Straße nach Oberniederdorf in den Himmel reckt? Vor langer Zeit soll hier einmal ein gewaltiger Hort gestanden haben, in dem viele brave Weiber und ein einziges Männlein namens Herr Neumann auf all die kleinen Kinder aufpassten. In diesem Horte schaffte auch ein kräftiges Weib mit dem Namen Frau Kappler und folgte dem Wahlspruch: „Ick hab se noch alle rumjekricht!“

Nun gab es aber im Hort ein Kind, das alle die Unbeirrte Undine nannten. Das Mädchen sagte statt Ja und Amen immer nur Nö und Glaubichnicht.

Eines Tages rief Frau Kappler die Kinder zum Späthort-Aufstellen, aber die Unbeirrte Undine spielte weiter Gummihopse. „Kommste jetzt oder brauchste ne Extraeinladung?“ fragte Frau Kappler, aber die Unbeirrte Undine sagte: „Nö.“

„Pass ma uff, Frollein“, erboste sich die Hortnerin da, „ick kann warten, und wenn ick hier Wurzeln schlage!“ „Glaubichnicht!“ erwiderte die Unbeirrte Undine.

Das erzürnte Frau Kappler so sehr, dass sie auf der Stelle zum Fels erstarrte, an der sie heute immer noch steht. „Selbst Schuld“, sagte die unbeirrte Undine, hopste noch ein bisschen und vergaß die ganze Geschichte alsbald. 

Das Märchen vom reichen Baumeister und den Waldkindern

Im düsteren Hotzenwald gab es einmal einen Kindergarten, der war so ärmlich und schäbig, dass der Wind ins Haus pfiff und die Wände wackelten. Eines Tages aber erschien eine goldene Kutsche vor dem Kindergarten, der ein Herr entstieg, sich als Baumeister vorstellte und sprach: „Kinder, euer ärmliches Häuschen dauert mich sehr, ich will euch ein neues bauen. Ihr habt drei Wünsche frei.“

Die Kinder jubelten, und der Herr verkündete schnell: „Als ersten Wunsch werde ich euch bodentiefe Fenster in jeden Raum einbauen. Als zweiten Wunsch bekommt ihr eine riesige Zentraltreppenanlage mit Lichtkuppel. Und als dritten Wunsch lasse ich euch ein Außengelände mit Südsee-Motiv-Spielgeräten ausstatten, von den teuersten Designern meines Königreiches entworfen.“ Sogleich befahl der Herr den Abriss des Häusleins und den Bau eines imposanten Gebäudes, auf das alle Welt darüber staunen werde.

„Seid ihr bald fertig, guter Baumeister?“ fragten die Kinder einige Zeit später, aber der Herr brummte: „Stört mich nicht! Ihr habt noch einen vierten und fünften Wunsch bekommen, nämlich einen lärchenholzvertäfelten Snoezelen-Raum und vollautomatisch verschiebbare Bettenschränke.“

„Ach so, na dann…“, sagten die Kinder, krabbelten durch die Baustellenabsperrung in den grünen Tann und erfanden flugs den ersten Waldkindergarten. Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie dort noch immer glücklich und zufrieden.

Die verzauberte Tante

In der guten alten Zeit, als das Erziehen noch geholfen hat, lebte einst eine Pädagogin, die jedermann Tante Kerstin nannte. Sie wurde von den Kolleginnen geachtet, von den Kindern geliebt und von allen Eltern verehrt.

Eines Tages aber geriet Tante Kerstins Reich unter den Einfluss eines bösen Zauberers, der die artigen Kinder in psychisch auffällige Nervensägen mit ADHS, Migrationshintergrund oder Wohlstandsverwahrlosung verwandelte, die Kolleginnen samt und sonders in falsche Nattern, den bewährten Beschäftigungsplan in ein unerfüllbares Bildungsprogramm, die Eltern aber in aufgeblasene, unzufriedene Gespenster voller Missgunst. Andere Leute sagen, es sei anders gewesen: Der Zauberer habe lediglich die gute Tante Kerstin in eine grantige Kröte verwandelt. Aber pssst! Sprich das bloß nicht aus, sonst kommt sie herbeigehüpft und quakt dir die Ohren ab.

Das Märchen vom reichen Land ohne Erzieher

Es war einmal ein Königreich, das hatte alles, was man sich nur wünschen konnte: Güldene Kutschen, immer satte Menschen und breit grinsende Kinder in Stuben voller Unterhaltungselektronik. Alles besaßen die Menschen in diesem Königreich – nur nicht genug Erzieherinnen und Erzieher, die auf ihre wohlgenährten Kinder aufpassen.

Den König betrübte das. Er rief die klügsten Professoren, die teuersten Berater zusammen und befahl ihnen, pädagogische Fachkräfte herbeizuschaffen. Man müsse, sagte der erste Berater, die Bürstenverkäuferinnen auf dem Markt ansprechen und umschulen. Eine Image-Kampagne für viele tausend Taler sei der einzige Weg, wusste der zweite, ein eindrucksvoll bebrillter Berater. Umherirrende Rentnerinnen anlocken und zum Arbeiten in den Kindergarten schicken, schlug ein Professor vor, ein sinisteres Männchen mit Rauschebart.

Das hörte eine Zofe, die die Kinder der hohen Herren betreute, und sagte: „Ich hätte einen Rat, mein König. Gebt den Menschen, die Kinder erziehen, einfach die anderthalb- bis zwiefache Menge Taler.“

Da schlug sich der König lachend auf die Schenkel und sprach: „Danke, dass ihr mich so erheitert habt, gute Zofe. Doch nun geht wieder zu den Kindern, ich habe Wichtiges zu bereden.“ Und die hohen Herren beratschlagten weiter – wohl bis zum jüngsten Tag.

Entschieden für Entscheidung: Wir sind ein demokratischer Kindergarten

Pädagogien ist einer der demokratischsten Staaten der Erde. Denn Pädagogien ist ein Land, wo Demokratie nicht nur praktiziert wird, sondern gleichzeitig beim Praktiziertwerden gelernt! Das Gute: Wenn es in Pädagogien mal nicht so demokratisch zugeht, erhöht das automatisch die Lernchancen. In diesem Sinne wäre rein theoretisch eine der besten Lernformen für Demokratie eine charmante, kindgerechte, fröhliche Diktatur.

Bei uns können die Kinder jede Menge selbst entscheiden, seht selbst:

Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie Messer und Gabel benutzen – oder ob sie, wie die Babys, den Löffel nehmen, was allerdings gar nicht schön aussieht, Luca! Bei uns können sie entscheiden, in welcher Hand sie Gabel oder Messer nehmen, wobei es auch gut ist, wenigstens zu probieren und zu üben, wie rum es nun mal richtig ist und auch besser aussieht.

Bei uns können Kinder entscheiden, neben wem sie beim Morgenkreis sitzen. Sie entscheiden das, indem sie sich so miteinander verhalten, dass es auch beim nächsten Mal möglich ist, die beiden nebeneinander zu setzen. Sonst geht es eben nicht mehr!

Bei uns können die Kinder über die Gestaltung des Gartens entscheiden: Beim großen Partizipations-Projekt „Wir bauen eine Traum-Hütte im Garten“ neulich schon beim Entwerfen von Plänen für die Hütte. Die dann allerdings eher sinngemäß umgesetzt werden, weil die Kinder keine Ahnung von TÃœV und von praktischen Baumarkt-Fertigbauhütten hatten, aber die Geste zählt. Aber sie konnten sich entscheiden zum Mitbauen, was dann allerdings mehr eine Sache der Vatis war, weil die sich nun mal geschickter anstellen – und die Verletzungsgefahr! Bei unserem „Wir bauen eine Traum-Hütte für den Garten“-Bauprojekt konnten die Kinder mitentscheiden, ob sie lieber beim Bauen der Väter zuschauten – mit klarem Sicherheitsabstand natürlich – oder lieber drinnen spielten, was besser war, denn es war recht kühl an diesem Tag.

Bei uns können die Kinder entscheiden, mit wie viel Bekleidung sie draußen herumlaufen – vorausgesetzt, es ist einmal weder zu warm noch zu kalt, weder windig noch zugig, weder Winter noch Sommer noch Herbst noch Frühling, und es hat kein Kind in der Gruppe einen Schnupfen.

Bei uns können die Kinder über die Gestaltung der Wände mitentscheiden, nämlich: Wollt ihr lieber schöne ordentliche saubere Wände oder solche mit unschönen Fingerabdruck-Flecken, die uns allen nicht gefallen? Und bei uns können die Kinder die Gestaltung der Räume mitentscheiden, ob sie zum Beispiel ordentlich sind wie gleich, nach dem Aufräumen oder ob sie etwa so bleiben sollten wie jetzt, wo alles rum liegt hier im Bauraum. Also: Hopp!

Bei uns können die Kinder entscheiden, was sie von den Komponenten des Mittagessens essen und was nicht …sofort, sondern erst nach längerer Diskussion um „Wenigstens mal probieren“ und „Mir schmeckts aber seeeehr lecker, probier doch mal.“

Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie schlafen oder lieber nicht, ob sie also stattdessen einfach nur daliegen möchten, auf den Matten im Ruheraum, aus Rücksichtnahme auf die anderen natürlich leise, möglichst mit geschlossenen Augen, schon weil es im abgedunkelten Raum ohnehin nichts zu sehen gibt, und bitte ohne diese Zappelei! Bei uns können sie entscheiden, ob sie schlafen oder einfach nur perfekt so tun als ob sie schliefen.

Bei uns können die Kinder entscheiden, wann sie trocken und sauber werden. Unsere Aufgabe – und die der Eltern – ist es lediglich, darauf zu achten, ob sich beim Kind Anzeichen sichtbar machen, dass es diesen Prozess aus eigener Entscheidung beginnen möchte, und es dahingehend eingehend unterstützen. Indem wir es nun an den in eigener Entscheidung gewünschten Toilettengang erinnern: Wenn´s sein muss im 5-Minuten-Abstand.

Bei uns können die Kinder entscheiden, wie sie ihre kindliche Sexualität entdecken. Aber bitte nicht vor den Kleinen, den Eltern, den Großen, und bitte nicht mitten im Raum und nicht dort in der dunklen Ecke der Hochebene, wo man nicht weiß, was da abgeht. Und bitte nicht so offen, dass die Eltern nachher unangenehme Fragen stellen – und bitte, bitte, bitte nicht heimlich.

Bei uns können die Kinder entscheiden, ob und an welchem Angebot sie täglich teilnehmen. Um ihre Entscheidungsfähigkeit zu unterstützen, bieten wir täglich nur eins an – und wer nicht mitmachen möchte, der spielt bitte im Vorraum.

Bei uns können die Kinder entscheiden, mit welchem Spielpartner sie gerne spielen möchten. Aber es ist auch lehrreich, mal mit jemandem zusammen spielen zu müssen, mit dem man nicht gern zusammen spielt!

Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie täglich rausgehen möchten. Oder ob sie es nur gezwungenermaßen machen, weil die Eltern nun mal möchten, dass die Kinder jeden Tag ganz viel rausgehen möchten.

Bei uns können sich die Kinder ihren Lieblingserzieher aussuchen. Schön ist natürlich, wenn dieses auch zufällig die Gruppenerzieherin ist, mit der das Kind fast den ganzen Tag  verbringt!

Bei uns können Kinder entscheiden, indem sie in der Kinderkonferenz ihre Meinung sagen. Apropos Meinung sagen: In der Konferenz möchte ich dann aber auch einmal meine Meinung darlegen, wie ich die Sache so sehe – und vielleicht entscheiden sich die Kinder ja, meine Meinung zu teilen?

Bei uns können Kinder entscheiden, welches Projektthema wir als nächstes machen. Das Kind entscheidet, welche Fragen wir untersuchen möchten. Das Kind ist der kluge Uli oder der laute Jaromir mit den vielen Ideen, der entscheidet für die leiseren, langsameren, jüngeren Kinder einfach mit, welche Fragen wir untersuchen und welche eher nicht interessant sind.

Bei uns können Kinder entscheiden, welches Projekt wir jetzt angehen, indem wir ihre Fragen zum Ausgangspunkt der Planung machen. Es kommt nur darauf an, aus den vielen Fragen, die ein Kind so tagtäglich stellt, die richtige Frage abzuwarten und aufzugreifen, die zu unserem zufällig bereits lange vorher fertig geplanten Projekt passt.

Bei uns können die Kinder entscheiden, ob sie mitentscheiden möchten, indem sie sich für Entscheidungen entscheiden, die zu bereits entschiedenen Entscheidungen von uns Entscheidern passen.

Wir können abschließend bescheiden: Bei uns können Kinder entscheiden, in bescheidenem Rahmen allerdings.