Erschienen in wamiki – www.wamiki.de
Satire darf unbequeme Fragen stellen. Zum Beispiel, ob es nicht ungerecht ist, dass in nur 0,5 Prozent aller Diktaturen Frauen das Sagen haben. Das ist schade, denn so erfahren wir nicht, ob sich typisch weibliche Eigenschaften wie Kompromiss- und Kommunikationsfähigkeit bei der Lösung von Diktatoren-Aufgaben wie die Unterdrückung Andersdenkender oder der räuberische Ãœberfall auf ein Nachbarland auswirken. Aber Satire darf Wege aus diesem Missstand aufzeigen: Gottlob gibt es genügend Möglichkeiten, handliche Mini-Diktaturen zu begründen, zum Beispiel im pädagogischen Bereich. Diese Chance ergriffen schon jede Menge Damen – und auch einige Herren, die die Lizenz zum Diktieren quasi im Gen-Satz mitbrachten. Schauen wir mal in die pädagogischsten Mini-Diktaturen der Welt…
Eure-Frau-Müller-Insel
Auf der Eure-Frau-Müller-Insel führt die gleichnamige Lehrerin der 4a ein eisernes Regiment über die ihre Untertanen. Dabei gibt es durchaus Unterschiede: Während der Volksstamm der Artigen Mädchen zahlreiche Privilegien genießt, leiden die unterdrückten ADHSler unter ständigen Anfeindungen. Erst kürzlich wurde der „sehr auffällige Marvin“ mit Hilfe fingierter Förderpläne des Landes verwiesen.
Für Außenstehende absurd erscheint der vorgeschriebene Gruß: Jeden Morgen hat die sogenannte Klassengemeinschaft in einer Art militärischer Formation aufzustehen und zu Ehren der Herrscherin im Chor „Gutenmorgenfraumüller!“ zu skandieren.
Scheindemokratische Institutionen wie der Klassensprecher, ein bebrilltes Jungchen, werden von Eure-Frau-Müller schamlos ausgenutzt, um Abweichler zu ermitteln, deren Namen „zur Verwarnung“ an die Tafel geschrieben werden. Nach dem Richterspruch „Jetzt ist Eure-Frau-Müller aber enttäuscht, das habt ihr euch selbst zuzuschreiben!“ folgen Strafmaßnahmen wie Ãœberraschungstest, Pausenverbot und umfangreiche Extrahausaufgaben.
Gudrunesien
Auf dem ersten Blick erweckt das Herrschaftsgebiet der Ein-Frau-Diktatur Gudrunesien einen ansprechenden, gar beschaulichen Eindruck. Die W?nde des Kleinstaates sind auf traditionelle Weise dekoriert, und die aufgehängten Losungen wirken nicht wie Propaganda, sondern verk?nden angenehm schlichte Lebensweisheiten. Positiv fällt auch auf, dass nicht etwa übergroße Herrscherportraits, die viele Unrechtssysteme schmücken, sondern Bilder von Zeitgenossen präsentiert werden, die politisch als absolut untadelig gelten, zum Beispiel das Konterfei zweier freundlicher Kaninchen.
Pädagowatch durchschaut diese Äußerlichkeiten jedoch und warnt vor Gudrunesiens Repressionssystem. Die Herrscherin hat ihrem Volk, das sich Eichhörnchengruppe nennen muss, ein absurdes Konzept der Unterdrückung körperlicher Bedürfnisse aufgezwungen. Laut Verfassung sind Nahrungseinnahme, Ausruhen und Toilettengang nur zu den von ihr verordneten Zeiten möglich. Das Rechtssystem zementiert diesen Zustand: Strafen wie die „Essenswegnahme nach Gemüse-Verzehrweigerung“ für den Dissidenten Tobi, vier Jahre, sind an der Tagesordnung. Wie viele Opfer im sarkastisch Toberaum genannten Zentralgefängnis auf ihre sogenannte Abholung warten, ist ungewiss.
Sportonien
Großzügig und licht wirkt das Territorium der Republik Sportonien. Erst auf den zweiten Blick nimmt der Besucher überall angebrachte Folterinstrumente – von der Decke baumelnde Ringe und den längst geächteten Bock – wahr, mit denen das stündlich wechselnde Staatsvolk malträtiert wird.
Ronny Reinhard regiert das Land mit schriller Trillerpfeife. Seine Macht sichert der Herrscher, indem er Unterfährer wie den „Mannschaftskapitän“ oder „die knackige Cindy“ etabliert, die ihren Platz neben seinem Thron haben und die Opposition, bestehend aus der Minderheit der Dickerchen und dem Volksstamm der Notorischen Turnbeutelvergesser, drangsalieren. Ohnehin führen diese bemitleidenswerten Geschöpfe ein tristes Leben, geprägt von Strafbank-Sitzen, Sekundenabwurf beim Völkerball und Stufenbarren-Hineinschiebe-Dienst.
Bummistan
„Kenne ich irgendwoher“, sagen im ehemaligen Ostblock aufgewachsene Besucher der straff geführten No-Bananenrepublik Bummistan. Mit Neptunfesten, Sport frei-Appellen und liebevoll gepflegter Außenseiter-Missbilligung wird das Staatsvolk von Bummistan mehr schlecht als recht bei Laune gehalten. Erprobt ist auch der Umgang mit Abweichlern wie versehentlich über die Landesgrenze geratene Praktikanten oder Fortbildner, die „sich rechtfertigen müssen“, bevor sie zügig in außerbummistanisches Gebiet abgeschoben werden. Beherrscht wird Bummistan von einer Clique mittelalter Damen mit Strähnchenfrisuren, die in sogenannten Dienstberatungen konsequent einer Meinung sind, weil: „Meckan jibts nich!“
Waldorfeulenburg
Abschottung ist das Hauptprinzip in Waldorfeulenburg, einem abgelegenen Kleinstaat. Für schädliche Einflüsse hält man je nach Weltlage Computer, Fernseher, Hörkassetten oder Plastikspielzeug und die sogenannte moderne Pädagogik. Die Staatsdoktrin verbindet Elemente einer von „diesem Gundolf Steiner“ inspirierten Weltsicht mit dem „Annegretismus“, dessen Motto lautet: „Man muss die Kinder doch schützen!“
Trotz hehrer Ansprüche durchzieht Korruption alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in Waldorfeulenburg. Ohne selbstgemalte Blumenbilder für die „liebe Annegret“, Herrscherin über den Kleinstaat, geht gar nichts. Konspirative Umtriebe der Kinder verhindert die „liebe Annegret“, indem sie die Volksgruppe der Eltern mit alljährlichen Muttertagsgeschenken geschickt auf ihre Seite zieht.
Neu-Elitien
Glänzende Fassaden und offen zur Schau getragener Wohlstand blenden den Besucher Neu-Elitiens. Erst auf den zweiten Blick zeigen sich die Schrecken des Lebens in diesem Unrechtsregime: Die jungen Bewohner dürfen mit ihrer Obrigkeit nur in der Fantasiesprache Bilingual kommunizieren und müssen sich täglich an erniedrigenden Experimenten beteiligen, zum Beispiel indem sie unförmigen „Musikinstrumenten“ Töne entlocken. Als besonders sinnlosen Drill beschreiben aus Neu-Elitien Geflüchtete die schon Kleinkindern aufgezwungene Ãœbung, alle Dinge fortwährend nach Anzahl zu sortieren und deren Anfangsbuchstaben zu nennen.
Diktatorin Svetlana McLaughing, die das Land unerbittlich und mittels Finanzspritzen aus der Portokasse ihres Mannes führt, sieht das natürlich anders: „Meine Staatsbürger werden als Elite später einmal die ganze Welt beherrschen. Alles unter die eigene Kontrolle zu bringen, muss man üben. Und was eignet sich besser dafür als die eigenen Bedürfnisse!“